Grundtechniken - T'ai Chi Ch'uan (Yang-Stil) in Lübeck und klassisches Aikido

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Grundtechniken

Aikido > Aikido-Lehrbuch

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Technik des Aikido

 

Die Wahrheit ist einfach, daher müssen auch ihre Erscheinungs- und Ausdrucksformen einfach sein. Beachte dieses Prinzip bei allen Demonstrationen und Interpretationen von Aikido-Techniken. Die einfache Technik ist allen Menschen verständlich, ihr Inhalt prägt sich schnell ein, der Aussagewert wird größer, die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältiger, und die Wirksamkeit ist besser. Mehr kann und darf man nicht erwarten! Wer einfache Dinge schwierig macht, ist ein Narr, denn er verschleiert die Wahrheit!

6.1

Grundtechniken (Allgemeines)

 

Es wäre ein Trugschluss anzunehmen, dass die Wirksamkeit eines Systems der Selbstverteidigung gegen unbewaffnete oder bewaffnete Angreifer mit der Anzahl der dem Verteidiger verfügbaren Grundtechniken zunimmt. Kampfsportler wissen dies aus Erfahrung und beschränken sich folgerichtig auf das intensive Studium weniger Techniken, die vielseitig anwendbar, einfach und wirksam sind. Die meiste Zeit ihres Trainings wenden sie zur Verbesserung dieser Spezialtechniken auf, die ihrem körperlichen Vermögen angemessen sind und den Erfolg auch in wechselnden Situationen des Zweikampfes oder bei unterschiedlichen Gegnern bzw. Angriffsarten garantieren.
Bei oberflächlicher Betrachtung der praktischen Inhalte des Aikido könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass die einzelnen Techniken für sich nur wertlose Teile oder Bausteine eines übergeordneten Systems sind. Für Meister besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die wirkenden Kräfte und prägenden Werte des Aikido auch beim intensiven Studium nur einer Technik erschlossen werden können, denn jede einzelne Technik drückt bei richtigem Verständnis und richtiger Anwendung über das Medium der Körpersprache alle geistigen und philosophischen Inhalte des gesamten Weges aus. Dies machte der Begründer des Aikido, O Sensei Morihei Ueshiba, dadurch deutlich, dass er auch hochgraduierte Meister danach beurteilte, wie sie Irimi-Nage (Eingangswurf) und Ude-osae (Armstreckhebel-Haltegriff) ausführen konnten.
Das technische Programm des Aikido umfasst 13 Stand- (Nage-Waza) und 5 Boden-Techniken (Katame-Waza), beschränkt sich nach Art und Umfang also auf das Wesentliche und wird so den aufgezeigten Forderungen gerecht. Die Anwendungsbreite des Aikido ist durch die relativ begrenzte Zahl der Verteidigungstechniken jedoch nicht eingeschränkt, denn diese lassen sich aufgrund ihrer variablen Elemente sowie unter Berücksichtigung der beiden Prinzipien in unzähligen Formen praktizieren. Der Lehrer kann seine Schüler also auf unterschiedlichen Wegen zum gemeinsamen Ziel führen!
Von großer praktischer Bedeutung ist auch die Tatsache, dass jede Aikido-Technik nach vorbereitender Bewegung (Sabaki) zur wirksamen Abwehr unterschiedlicher Angriffe geeignet ist. Zur Strukturierung des Trainings und zur Erleichterung der Prüfungen musste allerdings eine gewisse Standardisierung der Angriffsarten vorgenommen werden. Ihre gebräuchlichsten Formen wurden unter Berücksichtigung der Hauptangriffsrichtung und nach steigendem Schwierigkeitsgrad geordnet. Sie sind in der folgenden Übersicht aufgeführt und werden durch die Abbildungen 93–113 erläutert.

Angriffsarten im Aikido:


Zu 6.1

Grundtechniken (1)
(Angriffsarten im Aikido)








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Bilder 93-103



Zu 6.1

Grundtechniken (2)
(Angriffsarten im Aikido)








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Bilder 104-113


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Die Bedeutung der Distanz (Ma-ai) wurde in Abschnitt 4.3 behandelt. Jeder geübte Angreifer wird seinen Angriff durch die Herstellung der zweckmäßigen Distanz einleiten. Sie ist von der Technik (Waffe) abhängig und soll ihm den wirksamen Einsatz seiner Mittel ermöglichen.
Dem jungen Aikidoka fehlt noch das Gefühl für die richtige Distanz. Deshalb wird sie beim Training der unteren Grade auch formal eingenommen, indem Nage den Angriff (z. B. Griff einer Hand) zulässt. Die Aufgabe ist so vereinfacht, und es entsteht eine statische Ausgangsposition in gleichseitiger (ai-hanmi) oder umgekehrter (gyaku-hanmi) Stellung. Nage hat Kontakt zum Partner und kann die Abwehrtechnik formal in positiver (Irimi) oder negativer (Tenkan) Form üben.

Unter Berücksichtigung der Forderung nach Beidseitigkeit ergeben sich dabei maximal acht verschiedene Ausführungen gemäß folgendem Diagramm:



Da es Absicht des Verfassers war, eine breite Palette von Aikidotechniken vorzustellen, konnte jede Technik aus Raumgründen nur in einer Ausführung behandelt werden. Bei Aikido-Prüfungen sind die vorgeschriebenen Techniken jedoch in allen möglichen Ausgangsstellungen und Prinzipien zu demonstrieren.
Die bei Anfängern aus methodischen Gründen zugelassene statische Ausgangsstellung muss aufgegeben werden, sobald der erwünschte Lerneffekt erreicht wurde, denn sie ist wirklichkeitsfremd und steht im Widerspruch zu wesentlichen Prinzipien des Aikido. Bei längerer Anwendung würde sie den Fortschritt des Ausübenden verhindern und zur geistigen und körperlichen Verkrampfung führen. Bei Angriffen aus der Bewegung oder Halbdistanz wäre sie auch nicht praktikabel.
Erkennt Nage den bevorstehenden Angriff, so kann er die Verteidigung gedanklich konzipieren – was innere Gelassenheit voraussetzt – und körperlich einleiten, indem er sich in eine günstige und sichere Ausgangsstellung begibt (Hidari- bzw. Migi-kamae) oder eine Ortsveränderung vornimmt.
Der Angriff kann Nage aber auch überraschend in zufälliger Position oder in einer Bewegungsphase – also bei evtl. gestörtem Gleichgewicht - treffen. In diesem Fall muss er seine Stellung oder Position durch intuitive Bewegung (Sabaki) so verbessern, dass die Ausführung der Abwehrtechnik möglich ist.
In Abschnitt 4.6 ist näher ausgeführt, dass sowohl der Angreifer als auch der Verteidiger bemüht sind, die zur Durchsetzung ihrer Absichten erforderliche günstige Ausgangsstellung zu gewinnen.
Nage wird auf jeden Angriff zunächst entweder mit einer ausweichenden (Tenkan) oder eintretenden (Irimi) Bewegung reagieren. Diese Bewegungsphase wird nachfolgend als Eingang bezeichnet.
Nach vollzogenem Eingang können sich Nage und Uke zueinander wieder in gleichseitiger (ai-hanmi) oder umgekehrter (gyaku-hanmi) Stellung befinden.
Die anschließende Verteidigungstechnik lässt sich dann in positiver (Irimi) oder negativer (Tenkan) Form ausführen. Das nachfolgende Diagramm zeigt die Zusammenhänge schematisch auf, jedoch wurde zur Vereinfachung nur eine Seite dargestellt.



Bei komplizierten Angriffen oder Übungsformen für fortgeschrittene Aikidoka kann Uke wiederholt Phasen der Spannung (Fülle) und Entspannung (Leere) erzeugen. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Aikido muss Nage in jedem Falle intuitiv das ergänzende Prinzip anwenden, also die Leere auffüllen (Irimi) oder die Fülle entleeren (Tenkan). Die ursprünglichen Gegensätze zwischen Angreifer und Verteidiger werden dadurch aufgehoben, beide ergänzen sich und bilden vorübergehend eine wirkende Einheit.
Die Grundtechniken des Aikido können in unveränderter Form auch zur wirksamen Abwehr von Angriffen mit verschiedenen Waffen verwendet werden. Es war in diesem Buch aus Platzgründen nicht möglich, die Grundtechniken des Aikido und ihre Anwendungsmöglichkeiten lückenlos vorzustellen. Bei der notwendigen Auswahl wurde jedoch streng darauf geachtet, dass die Grundtechniken, Angriffsarten und Prinzipien durch charakteristische Beispiele vertreten sind.
Intensives und ausdauerndes körperliches Training ist eine unumgängliche Voraussetzung zur Erlernung und Vervollkommnung aller Techniken.
Im Aikidotraining sollten zunächst nur die Grundtechniken für den 5. Kyu bis 1. Dan gemäß Prüfungsordnung (siehe Abschnitt 10.2) vermittelt werden, da sie das »Handwerkszeug« des Ausübenden sind.
Da sich die Trainingsgemeinschaften meist aus Aikidoka unterschiedlicher Grade zusammensetzen, werden an das Können und die methodisch-didaktischen Fähigkeiten des Lehrers bzw. Übungsleiters hohe Anforderungen gestellt.
Bei aller notwendigen Zielstrebigkeit ist es ratsam, das anstrengende Training durch zweckmäßige Vorübungen, konditionsfördernde Gymnastik (Spiele), methodische Reihen, motivierende Demonstrationen und klärende Lehrgespräche (Mondo) zu ergänzen.
Das Training der höheren Grade wird durch Persönlichkeit, Können und Ausstrahlung des als Lehrer eingesetzten ranghohen Meisters geprägt. Man stellt hierbei verblüfft fest, dass auch ältere Lehrer die körperlichen Formen des Aikido mit einer unnachahmlichen Dynamik und Sicherheit praktizieren. Bei aller Kreativität sollen sie dabei immer auf dem vom Begründer, O Sensei Morihei Ueshiba, festgelegten Weg bleiben. Dies ist Ausdruck ihrer Bescheidenheit und Bindung an das Aikido.
Die starke persönliche Ausstrahlung dieser Meister überzeugt und fesselt Außenstehende ebenso wie die Ausübenden. Gute Aikido-Meister denken und handeln nach den Grundsätzen der Harmonie, Wahrheit und Klarheit. Sie verleihen den geistigen Inhalten und moralischen Prinzipien des harmonischen Weges sichtbaren Ausdruck.
Im Aikido – wie auch in anderen Lebensbereichen – kommt der Forderung nach Einfachheit, wie bereits dargelegt, besondere Bedeutung zu. Mit akrobatischen Übungsteilen und selbstgefälligen Imponiertechniken kann ein Lehrer seine Schüler nur kurze Zeit verblüffen. Schnell erkennen sie, dass es sich nur um »Stolpersteine« handelt, die ihren Fortschritt hemmen.
Das Ziel des praktischen Aikido besteht auch nicht im Sammeln, Katalogisieren und Verwalten immer neuer Techniken und Übungsformen, sondern in der sicheren Beherrschung und umfassenden Anwendung seiner wesentlichen Inhalte. So manifestiert sich die wahre Meisterschaft im Aiki-Nage (Koordinationswurf), jener vollendeten Wurftechnik, die eine totale Koordination von Geist und Körper des Verteidigers voraussetzt. Dieser ergänzt den Angreifer in so vollendeter Harmonie, dass er ohne körperlichen Kontakt durch seine eigenen bösen Absichten und seinen eigenen aggressiven Geist zu Fall gebracht wird. Der Aiki-Nage ist Ausdruck der höchsten Reife des Verteidigers und ein Symbol für den Sieg der Liebe und des Friedens über Bösartigkeit und Gewalt!

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6.1.1

Ukemi (Falltechniken)

 

Die Schwäche vieler Menschen ist das Herausstellen ihrer Stärke. Nur wer nicht voranschreitet, kann nie straucheln.
Der Fall ist keine Niederlage, wenn man sich wieder erhebt.

6.1.1.1

Bedeutung der Falltechniken

 

Aikido ist im körperlichen Bereich ein Üben mit Kräften, die vom Angreifer ausgehen und auf den Verteidiger wirken. Das Ziel besteht zunächst darin, den planenden und aggressiven Geist des Angreifers vom ausführenden Körper zu trennen, damit er seine Absichten nicht mehr in die Tat umsetzen kann. Dies geschieht durch das Brechen des Gleichgewichtes (einer Form der vorübergehenden Neutralisation) als Vorbereitung zum nachfolgenden Wurf oder zur Ausführung einer Haltetechnik. Beim Beobachten des Aikido kann man leicht feststellen, dass alle Aktionen aus der Bewegung erfolgen, ihrerseits Bewegung beim Partner erzeugen und zu einer Richtungsänderung, Beschleunigung oder Abbremsung führen.
Die Techniken des Aikido werden von zwei oder mehreren Ausführenden im ständig wechselnden Rollenspiel als Nage (Werfender) und Uke (Fallender) trainiert. Dies setzt voraus, dass alle Beteiligten die Techniken des Fallens beherrschen, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden.
Vergessen wir nicht, dass es für jeden ungeübten Menschen schwierig ist, zu fallen! Er begibt sich nur ungern freiwillig in den Zustand des gebrochenen Gleichgewichts, weil die Kontrolle über den Körper verloren geht und die folgenden Reaktionen nicht mehr bewusst gesteuert werden können. Gerade bei älteren Anfängern kann das Lernziel nicht allein durch Fleiß und guten Willen erreicht werden. Die »normalen« und lebenslang praktizierten Bewegungs- und Verhaltensformen sind ebenso wie die Schutzreaktionen zu fest verwurzelt. Daher müssen sich Lehrer und Schüler gemeinsam sehr intensiv und ausdauernd mit dem Lehrstoff befassen.
Die gute Beherrschung der Falltechniken ist nicht nur für die Sicherheit des Ausübenden von großer Bedeutung, sondern fördert auch seine Entwicklung auf dem Wege (Do). Nur wer auch nach kraftvoll ausgeführten Techniken noch frei und unbewusst richtig zu fallen vermag, kann sich körperlich gelöst und innerlich frei dem Studium des Aikido hingeben.
Das Training bereitet dann große Freude, und es lösen sich alle geistig-seelischen Spannungen und körperlichen Verkrampfungen, die als Folge der im täglichen Leben geforderten »strammen Haltung« entstanden sind; man fällt sich frei!
Nach diesen Überlegungen dürfte verständlich geworden sein, warum die Falltechniken im Aikido einen sehr hohen Stellenwert haben. Dieser Tatsache wird die Prüfungsordnung für Kyu-Grade der Aikido-Union Deutschland e.V. dadurch gerecht, dass sie das Ukemi in der Benotung gleichwertig neben die anderen Fächer (Nage-Waza, Katame-Waza und Randori) stellt, obwohl es sich in quantitativer Hinsicht erheblich von diesen unterscheidet.
Beim 5. bis 3. Kyu sollten ca. 25%, beim 2. Kyu ca. 15% der verfügbaren effektiven Trainingszeit für die Fallschule aufgewendet werden. Auch bei den Prüfungen sind hohe Anforderungen an die Qualität der verschiedenen Falltechniken zu stellen.

6.1.1.2

Die Grundformen des Fallens

 

Alle Formen des Fallens kann man als Sicherheitstechniken bezeichnen, denn sie haben ausschließlich den Zweck, dem Aikidoka zu helfen, einen Wurf beziehungsweise ungewollten Fall ohne Schaden zu überstehen.
Wird ein Körper durch Aikidotechniken bewegt, so kann man die ihm innewohnende Energie entweder auf längerem Wege weich abbremsen oder auf kurzem Weg hart abstoppen. Diesen beiden Möglichkeiten entsprechend haben sich im Aikido zwei Grundformen des Fallens entwickelt:
Bei der Rolle vorwärts (Mae-Ukemi) und rückwärts (Ushiro-Ukemi) finden wir aikidospezifische Formen des weichen Fallens. Sie sollten nach Möglichkeit immer angewendet werden, weil durch sie Verletzungen auch dann vermieden werden können, wenn im Ernstfall keine Matten zur Verfügung stehen.
Werden jedoch explosive Bewegungen ausgeführt oder wirkt das durch Hebel oder Druck auf Nervenpunkte verstärkte Ki des Partners, lässt sich der freie Fall auf den Rücken oder die Seite nicht immer vermeiden. Dies gilt auch für alle Würfe, bei denen Uke während der Flugphase von Nage kontrolliert beziehungsweise stark geführt wird. In diesen Fällen kommt es darauf an, die Energie beim Aufprall des Körpers großflächig auf die Matte zu verteilen, damit der Druck pro Flächeneinheit gering und somit für den Fallenden ungefährlich bleibt.
Diese Art des Fallens erfordert sehr viel Übung, denn die Koordination des gesamten Körpers – Übergang von der gelösten Bewegung zur optimalen Spannung, federndes Abschlagen und sofortige Entspannung – muss im Bruchteil einer Sekunde und im richtigen Augenblick erfolgen.
Bei Prüfungen sind die Falltechniken grundsätzlich beidseitig aus aufrechter Stellung und gegebenenfalls aus der Bewegung vorzuführen. Alle Rollen (Mae-Ukemi und Ushiro-Ukemi) müssen in korrekter und sicherer Grundstellung (Migi- beziehungsweise Hidari-Kamae) enden.

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6.1.1.3

Techniken des Fallens – Beschreibung und Hinweise zum Training

 

Im Ausbildungsprogramm für Schülergrade sind die nachfolgend beschriebenen Falltechniken als schulmäßige Grundformen enthalten. Bei der Prüfung zum 2. Kyu (blauer Gürtel) werden daneben Formen des freien Fallens nach allen Seiten gefordert.
Alle Falltechniken sind von der ersten Stunde an beidseitig zu üben!

 

Ushiro-Ukemi (Rolle rückwärts)

 

Der Ausführende steht mit dem Rücken in Fallrichtung, schlägt das rechte Bein ein (Zehen bleiben aufgestellt!) und senkt sein Zentrum, bis das rechte Knie die Matte berührt (Abb. 114–116). Nun rollt er über den quergestellten Unterschenkel, die rechte Gesäßseite und den gekrümmten Rücken diagonal zur linken Schulter ab. Die rechte Schwerthand unterstützt diese Bewegung; der Kopf wird in Richtung auf die rechte Schulter gebeugt (Abb. 117–119).
In der Endphase »greift« der Ausführende mit den Zehen des linken Fußes in die Matte und bringt sein rechtes Bein in einem Zug nach vorn, bis eine Dreiecksstellung im Kniestand gegeben ist (Abb. 120–122).
Anschließend bringt er sein Zentrum senkrecht nach oben und nimmt die Rechtsstellung (Migi-Kamae) ein (Abb. 123, 124).
Im fortgeschrittenen Stadium fällt der Aikidoka so schwungvoll, dass er aus der Rolle direkt in den Stand gelangt. Auf die schulmäßige Einnahme der Dreiecksstellung im Kniestand wird - wie in den Bildern gezeigt - dann verzichtet.


Zu 6.1.1.3

Techniken des Fallens

Ushiro-Ukemi
(Rolle rückwärts)






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Bilder 114-124

 

Mae-Ukemi (Rolle vorwärts)

 

Der Ausführende befindet sich in der Rechtsstellung (Migi-Kamae), verlagert sein Zentrum unter Aufgabe des Gleichgewichtes nach vorn und führt einen Übersetzschritt aus. Dabei beugt er seinen Oberkörper und bringt die linke (vordere) Schwerthand – Kleinfingerseite nach vorn – in Fallrichtung auf die Matte (Abb. 125–128). Anfänger können die linke Schwerthand mit ihrer rechten Hand abstützen, um ein Einknicken (Verletzungsgefahr!) zu vermeiden.
Nun rollt der Aikidoka weich über seine leicht gebogene vordere Schwerthand, die linke Schulter und den gekrümmten Rücken diagonal zur rechten Gesäßseite ab. Die Bewegung wird durch das Einschlagen des rechten Beines und den betonten Einsatz der linken Schulter unterstützt (Abb. 129–131).
Anschließend rollt der Ausführende unter Nutzung des Schwunges weiter über den eingeschlagenen rechten Unterschenkel und eine flüchtige Dreiecksstellung bis in den Stand. Kurz vor dem Erreichen der Endstellung dreht er sich auf beiden Fußballen in die – angenommene – Angriffsrichtung (Abb. 132–135).


Zu 6.1.1.3

Techniken des Fallens

Mae-Ukemi
(Rolle vorwärts)






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Bilder 125-135


 

Yoko-Ukemi (Fallen seitwärts)

 

Aus einer lockeren Grundstellung (Kamae) verlagert der Ausführende sein Zentrum zunächst in Richtung auf das linke Standbein und lässt es dann kontrolliert nach unten fallen. Dabei führt er das rechte Bein gestreckt – Fuß immer in Nähe der Mattenoberfläche – zur linken Seite und hebt den rechten Arm locker an (Abb. 136–138).
Kurz vor dem Bodenkontakt wird der leicht gebogene Körper angespannt, so dass eine kurze rollende Bewegung entsteht, die an der rechten Gesäßseite beginnt. Sie wird durch einen federnden Schlag mit dem gestreckten Arm (Handfläche nach unten!) abgeschlossen, wenn der Ausübende mit seiner rechten Schultern die Matte berührt (Abb. 139, 140).


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Techniken des Fallens

Yoko-Ukemi
(Fallen seitwärts)






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Bilder 136-140

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Yoko-Ukemi (Fallen seitwärts aus dem flüchtigen Handstand)

 

Diese Form des seitlichen Fallens sollte wegen der besonderen Anforderungen nur von fortgeschrittenen Aikidoka geübt werden. Sie unterscheidet sich von der Rolle vorwärts (Mae-Ukemi) zunächst nur dadurch, dass der Ausführende seinen gebeugten Körper in der Anfangsphase wieder streckt (Abb. 141–143).
Ist der obere Drehpunkt erreicht, wendet der Aikidoka seine linke Körperseite intuitiv etwas um die Körperachse und bringt sie so in die Fallrichtung.
Im Augenblick des Mattenkontaktes wird der Körper schockartig abgebremst, jedoch verteilt sich die Energie auf eine große Fläche. Ein gut »getimtes« Abschlagen mit dem gestreckten rechten Arm (Handfläche nach unten!) dämpft den Aufprall erheblich (Abb. 144, 145).
Die Anforderungen können zur gegebenen Zeit durch Veränderung der Fallhöhe weiter gesteigert werden (zum Beispiel Fallen seitwärts über den Partner: Abb. 146–150).
Dass auch ältere Aikidoka diese anspruchsvollen Formen des Fallens noch praktizieren können, zeigt der heute 75-jährige Verfasser des Buches auf den Bildern.


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Techniken des Fallens

Yoko-Ukemi
(Fallen seitwärts aus dem flüchtigen Handstand)






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Bilder 141-145


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Techniken des Fallens

Yoko-Ukemi
(Fallen seitwärts über den Partner)






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Bilder 146-150

 

Hinweise zum Training der Falltechniken

 

Der Mensch ist gewohnt, in guter Balance mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu stehen. Ist er ungeübt, führt jede ungewollte oder freiwillige Aufgabe des Gleichgewichts augenblicklich zum Zustand der körperlichen und geistigen Verkrampfung, die von Angstgefühlen begleitet sein kann. Am Anfang des praktischen Aikido stehen viele Menschen daher vor einem psychologischen Problem. Die Freude an einem vielleicht als brauchbar, wertvoll oder schön erkannten Weg und die innere Auseinandersetzung mit den vielfältigen Schwierigkeiten erzeugen Spannung.
In dieser schwierigen Phase ihrer Entwicklung müssen die Schüler die menschliche und fachliche Zuwendung des Lehrers spüren, damit Vertrauen erwächst, das unabdingbare Vorstufe für die Entwicklung des Selbstvertrauens ist. Das Unterrichtskonzept des Übungsleiters muss daher ausgewogen und auf das Leistungsvermögen der Schüler abgestellt sein. Der Grundsatz des »Stufe um Stufe« ist unbedingt zu beachten; Überforderungen sind zu vermeiden.
Spielerische Übungsformen lockern den Körper auf und entspannen auch geistig-seelisch. Sie fördern den Fortschritt und eine langfristige Bindung an das Aikido.
Die Durchführung der Fallschule ist, unabhängig vom Grad der Ausübenden, ein fester Bestandteil jeder Trainingsstunde. Ihr muss jedoch eine intensive und zielgerichtete Gymnastik vorausgehen, die Dehnungs-, Kräftigungs- und Lockerungsübungen in zweckmäßigem Wechsel enthält. Durch die gute Erwärmung des Körpers lassen sich Verletzungen ausschließen, und die noch ungeübten Aikidoka werden sinnvoll vorbereitet.
Größere Aikido-Vereine nehmen neue Mitglieder zu festen Terminen auf, so dass geschlossene Gruppen mit gleichem Niveau entstehen. Die Durchführung eines effektiven Unterrichts bereitet hier keine Schwierigkeiten.
Meist wird jedoch in gemischten Gruppen trainiert, die sich aus Aikidoka aller Grade beziehungsweise unterschiedlichen Alters zusammensetzen. Auch unter dieser Voraussetzung sollten den Ausübenden nur die Falltechniken vermittelt werden, die in der Prüfungsordnung bis zum nächsten Grad vorgesehen sind. Es ist daher notwendig und sinnvoll, für die Fallschule kleinere Gruppen zu bilden. Im Bedarfsfall müssen höher graduierte Aikidoka den Übungsleiter zeitweise unterstützen. Dies ist auch für den Erwerb der bei Dan-Prüfungen geforderten Lehrbefähigung eine nützliche Übung.
Das technische Programm der unteren Grade ist noch nicht sehr abwechslungsreich. Die Schüler befinden sich am Beginn eines Weges, dessen Bedeutung und Wert sie noch nicht beurteilen können. Daher muss der Übungsleiter bemüht sein, den begrenzten Lehrstoff interessant zu gestalten und überzeugend zu vermitteln. Er sollte alle Schüler an die Grenze ihres Leistungsvermögens führen, ohne sie zu überfordern. Dies setzt Erfahrung und Einfühlungsvermögen voraus. Daher gilt die Forderung: »Den besten Lehrer für die schwächsten Schüler!«
Die spielerischen Übungsformen zur Störung des Gleichgewichtes und Einleitung der Falltechniken haben im Aikido besondere Bedeutung, denn die Ausübenden gehen im Tun auf, vergessen die – oft eingebildeten – Gefahren und reagieren in ihrem Eifer auch dann gelöst, wenn die Kräfte unvorhergesehen von außen wirken. Sie bleiben entspannt und natürlich und fallen in zweckmäßiger Weise. Ihr Unterbewusstsein wird positiv beeinflusst und steuert fortan das sichere, verzugsfreie Handeln.
Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Spiele nicht durch kämpferische Elemente oder Leistungsvergleiche verfälscht werden, die dem Wesen des Aikido entgegenstehen und die Verletzungsgefahr steigern.
Die Vorübungen sind in Form einer methodischen Reihe aufzubauen und sollten bereits die wesentlichen Schwerpunkte der zu vermittelnden Falltechnik(en) enthalten. Allgemein kann hierzu gesagt werden, dass der Körperschwerpunkt bei den Vorübungen noch in der Nähe der Matte gehalten werden sollte. Die Übungen sind daher aus liegender beziehungsweise sitzender Position, der tiefen Hocke oder dem Kniestand zu beginnen. Mit zunehmender Sicherheit können die Anforderungen dann gesteigert werden.
Alle Vorübungen und Falltechniken müssen mit großer Sorgfalt und immer beidseitig ausgeführt werden. Jede falsch eingeübte und schon automatisierte Bewegung lässt sich später nur mit großem Trainingsaufwand wieder korrigieren. Dies gilt im besonderen Maße für die nur einseitig geübten Falltechniken.
Der Schüler muss in jeder Phase seiner Entwicklung durch Erfolgserlebnisse motiviert werden. Die Vermittlung und Beurteilung kann sich daher zunächst nur an der Grobform orientieren. Man versteht darunter eine schulmäßig richtige (beidseitige) Ausführung, bei der zunächst solche Feinheiten vernachlässigt werden, die für den Hauptzweck – gefahrenloses Rollen (Fallen) – nicht relevant sind.
Feinform und Sicherheit können nur durch ausdauernde Übung über viele Jahre erreicht werden. Dabei führen auch die Meister aller Grade und ältere Aikidoka die Falltechniken immer wieder in schulmäßiger Form aus.
Jeder Aikido-Lehrer ist gut beraten, wenn er die Leistung und den Fortschritt seiner Schüler mit individuellen Maßstäben misst, ihnen Zeit zur Entwicklung lässt und die Anstrengungen höher bewertet als den Erfolg.
Wollen und technisches Vermögen müssen stets im Einklang miteinander stehen. Man kann gerade von jungen Aikidoka nicht erwarten, dass sie ihr eigenes Können und den Schwierigkeitsgrad der Falltechnik richtig beurteilen. Hier muss der Lehrer behutsam aber entschlossen eingreifen!
Die Anwendung einer schulmäßig ausgeführten Falltechnik sollte zwar immer angestrebt werden, ist jedoch nicht in jeder Situation möglich. Manchmal wird ein Aikidoka »auf dem falschen Bein erwischt« oder ist durch den Griff des Partners in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Das weiterführende Training sollte daher auch Übungen zur Verbesserung der Fallschule enthalten, um die Sicherheit der Ausführung auch unter ungewöhnlichen, ja extremen Bedingungen zu erhöhen.
Zur Verbesserung der Falltechniken dienen insbesondere folgende Übungsformen:

  • Fallen ohne Verzug nach Zeichen;

  • Ausführung gleicher oder verschiedener Falltechniken in Serie ohne zwischenzeitliche Wiederherstellung der Balance; Beschleunigung des Fallenden durch Stoß oder Wurf;

  • Fall mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit (Führung durch den Partner, Hände lose am Gürtel);

  • Fallen in umgekehrter Stellung (Gebrauch der rechten Schwerthand bei Stellung links-vorwärts und umgekehrt);

  • Fallen mit eingeschränkter Sichtkontrolle oder nach extremen Richtungswechseln.

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6.1.1.4

Der freie Fall

 

Die Kunst des freien Falles wird wegen der bereits aufgezeigten Schwierigkeiten nur von wenigen Aikidoka vollkommen beherrscht und kann daher als »hohe Schule« des Ukemi bezeichnet werden.
Hier sind alle Techniken einzuordnen, bei denen der Ausführende während einer gewissen Bewegungs-(Wurf-)Phase keinen Kontakt mehr zur Matte hat. Der frei fallende und oft durch das starke Ki des Partners beschleunigte Körper trifft mit großer Wucht auf die Matte.
Die Abbremsung kann entweder durch eine anschließende Rolle bei starkem Einsatz der Schwerthand oder durch den Fall seitwärts mit richtig »getimtem« Abschlagen erfolgen.
Alle Formen des freien Falles erfordern einen durchtrainierten Körper und ein geschultes Unterbewusstsein. Deswegen sollte diese Form erst bei der Prüfung zum 2. Kyu-Aikido (blauer Gürtel) gefordert werden, was einer Ausbildung von ungefähr zwei Jahren entspricht.
Während sich das Erlernen der Flugrollen nach vorn und rückwärts logisch aus den vorherigen Übungsformen ergibt, bereitet der freie Fall seitwärts in der Regel Schwierigkeiten, denn der fortgeschrittene Aikidoka ist es gewohnt, sich während eines Wurfes instinktiv zusammenzurollen. Nun soll er aber die Matte großflächig mit dem gestreckten Körper berühren. Es muss nicht so sein, dass blaue Flecken im Bereich der Hüfte von den Anstrengungen zeugen. Auch für diese schwierige Art des Fallens können methodische Reihen entwickelt werden, die vom Einfachen zum Schwierigen bzw. vom Bekannten zum Unbekannten führen.
Ein Aikidoka sollte bei seiner Prüfung zum 2. Kyu (blauer Gürtel) alle Falltechniken der vorhergehenden Grade (Mae-, Ushiro- und Yoko-Ukemi) in Perfektion zeigen und folgende Formen des freien Fallens (Rollens) beidseitig demonstrieren können:

  • Rolle vorwärts mit Flugphase ohne Mattenkontakt;

  • Rolle vorwärts aus der Bewegung ohne Gebrauch der Schwerthände in den sicheren Stand;

  • Rolle rückwärts aus der Bewegung ohne Sichtkontrolle in den Stand, dabei ohne Mattenkontakt mit den Knien;

  • Rolle rückwärts über die Schwerthand ohne Sichtkontrolle in den sicheren Stand;

  • freier Fall seitwärts aus dem Stand;

  • freier Fall seitwärts aus dem flüchtigen Handstand;

  • freier Fall seitwärts aus dem flüchtigen Handstand über den Partner.

6.1.1.5

Die Kunst des Fallens beim Jiyu-Waza

 

Es gibt Techniken im Aikido, die von Uke ein besonderes Maß an Fallfertigkeit verlangen. Im Übungsprogramm der fortgeschrittenen Aikidoka sollten diese Techniken daher nicht nur zur Verbesserung ihrer Wirksamkeit, sondern auch im Hinblick auf die Perfektionierung der Falltechniken und zur Vermeidung von Verletzungen ausgeführt werden.
Die Stärke einer Abwehr wird im Aikido in erster Linie durch die Dynamik des Angriffs bestimmt. Daher stellen alle Techniken zur Abwehr von Schlägen und Stößen mit dem Stab (der Lanze), Messer oder Schwert besondere Anforderungen an den Angreifer.
Die Meisterschaft des Fallens zeigt sich beim Jiyu-Waza! Uke soll hier frei und variabel angreifen. Er darf nicht am Augenblick hängen, muss den Zeitpunkt der Aufgabe seiner Balance intuitiv erfassen und die geeignete Falltechnik ohne Verzögerung ausführen.
Dies gilt vor allem für das Jiyu-Waza in kraftvoller Form (Kakari-Geiko) oder mit mehreren Angreifern. Wer äußerlich einen Angriff ausführt und innerlich an die eigene Sicherheit denkt, lässt seine Ki nicht in Richtung auf den Partner fließen. Wenn kein Angriff erfolgt, bedarf es auch keiner Abwehr!
Kommt das ernsthafte Rollenspiel zwischen Nage und Uke nicht zustande, können beide Partner kein Aikido erlernen. Insofern ist die Beherrschung der Falltechniken auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Aikidoka die Rolle des Gebenden ohne Gefährdung seiner eigenen Gesundheit zum Nutzen des Partners übernehmen kann.
Die freiwillige und vorübergehende Aufgabe der Balance sowie die sich anschließende Falltechnik haben auch eine große symbolische Bedeutung.
Sie führen über die mit der scheinbaren Selbstaufgabe verbundene »Entleerung« zur ursprünglich starken Position zurück.

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