Ukemi-Unterricht - T'ai Chi Ch'uan (Yang-Stil) in Lübeck und klassisches Aikido

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Ukemi-Unterricht

Aikido > Lehrbriefe für Aikido

Methodik des Ukemi-Unterrichts
von Helga Brand, 5. Dan Aikido



Wenn du hinfällst,
dann heb etwas auf!

Oswald Avery

Bild:
Bundestrainer Gerd Wischnewski, 3. Dan Aikido, zeigt Kote Gaeshi,
Uke: Rolf Brand, 1. Dan Aikido

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Grundsätze

 

Einleitend ist festzustellen, dass die Durchführung eines effektiven Aikido-Unterrichtes am besten möglich ist, wenn die Ausübenden gleiches Niveau besitzen und der Übungsleiter sich gut vorbereitet. Die Erfüllung der erstgenannten Forderung würde jedoch voraussetzen, dass die am Aikido interessierten Personen nur zu festen Terminen aufgenommen werden, damit geschlossene Gruppen entstehen. Der große Nachteil dieses Verfahrens besteht aber darin, dass diese Menschen während der evtl. längeren Wartezeit das Interesse am Aikido wieder verlieren. Aus diesem Grunde nehmen die meisten Vereine neue Mitglieder laufend in die bestehenden „gemischten" Übungsgruppen auf. Wie die Erfahrung lehrt, ist dies bezüglich der schnellen Integration sowie der Motivation für die neuen Aikidoka mit Vorteilen verbunden, weil sie die verschiedenen Grad- bzw. Leistungsstufen beim Training erleben und gelegentlich auch mit ranghöheren Aikidoka üben können.
Zur Vermeidung von Benachteiligungen der  fortgeschrittenen Aikidoka, die sich durch überflüssige Wiederholungen in ihrer gradmäßigen Entwicklung gehemmt sehen, oder der Anfänger, die sich in einer gemischten Gruppe schnell überfordert fühlen und die Freude am Aikido wieder verlieren, ist der Einsatz von Trainer-Assistenten erforderlich, die sich nach der gemeinsamen Gymnastik um die unteren Grade kümmern. Durch diese Aufgabenteilung wird die Effizienz des Unterrichtes auch wesentlich gesteigert.
Das Unterrichtskonzept des Übungsleiters muss ausgewogen und auf das Leistungsvermögen der Gruppenmitglieder abgestellt sein. Der Grundsatz des „Stufe um Stufe" gilt auch und besonders im Aikido; Überforderungen und riskante Techniken sind zu vermeiden. Spielerische Übungsteile lockern nicht nur den Körper sondern auch die Dojoatmosphäre auf; sie entspannen den Schüler körperlich sowie geistig-seelisch und garantieren einen schnellen Fortschritt. Der Übungsleiter muss immer daran denken, dass das Fallen für jeden ungeübten Menschen sehr schwierig ist. Er begibt sich nur widerwillig in den Zustand des gebrochenen Gleichgewichtes, da er zunächst die Kontrolle über seinen Körper verliert und die folgenden Reaktionen nicht mehr bewusst steuern kann.
Am Anfang aller Bemühungen sollten daher Übungen und Spiele stehen, die den Schüler mit der Matte als seinem Übungsgerät vertraut machen und ihm ein Gefühl für die Bewegungsabläufe und mit zunehmender Sicherheit auch mehr Selbstvertrauen geben.
Die vorbereitenden gymnastischen Übungen müssen zweckmäßig sein. Bei der Auswahl und Entwicklung methodischer Reihen ist es sehr wichtig, dass die Schwerpunkte der einzelnen Fallübungen vom Übungsleiter erkannt werden und dass sie den Schüler ohne Umschweife zum erklärten Ziel - sichere Beherrschung der verschiedenen Formen des Ukemi - führen. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass der Übende den gesamten Umfang und das Ziel einer methodischen Reihe in jeder Übungsphase erkennt. Da alle Techniken des Ukemi rechts und links auszuführen sind, muss das Prinzip der Beidseitigkeit auch bei den vorbereitenden Übungen den Vorrang haben, wenn dies möglich ist.
Sorgfalt ist bei Ausübung aller Spiele, Vorübungen und Techniken oberstes Gebot. Jede falsch eingeübte und ggf. schon automatisierte Bewegung kann den Erfolg verhindern. Verinnerlichte Fehler lassen sich später nur mit einem hohen Zeit- und Trainingsaufwand wieder korrigieren.
Leistungsvergleiche widersprechen wesentlichen Prinzipien des Aikido; sie verbieten sich auch beim Erlernen der Fallübungen (z.B. Bewertung von Flugrollen nach Höhe und Weite), da sie zur Verkrampfung führen, Verletzungen fördern und den Erfolg verhindern.
Von vielen - insbesondere erwachsenen - Aikidoka wird es als besonders angenehm empfunden, wenn man ihnen Zeit zur individuellen Entwicklung lässt und nicht den schnellen Erfolg oder die vergleichende Bewertung zum Maßstab für den Trainingserfolg macht.

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Analyse und Bedeutung des Ukemi

 

Aikido ist im körperlichen Bereich ein Üben mit Kräften, die vom Angreifer (Uke) ausgehen und auf den Verteidiger (Nage) wirken. Das Ziel jeder aikidospezifischen Aktion besteht darin, den planenden und aggressiven Geist des Angreifers vom ausführenden Körper zu trennen, so dass er seine Absichten nicht mehr in die Tat umsetzen kann. Dies geschieht durch das Brechen des Gleichgewichtes (einer Form der vorübergehenden Neutralisation) als Vorbereitung für den nachfolgenden Wurf oder zur Ausführung einer Haltetechnik. Letztere ermöglicht - falls notwendig und zweckmäßig - die andauernde Neutralisation des Angreifers. Durch die mit dieser Methode verbundene Belehrung soll der Angreifer zu der Einsicht geführt werden, dass sich seine Aggressionen letztlich gegen ihn selbst richten.
Die Techniken des Aikido werden von zwei oder mehreren Ausführenden in einer ständig wechselnden Rolle als Angreifer und Verteidiger trainiert. Dabei ist festzustellen, dass alle Aktionen aus der Bewegung erfolgen und ihrerseits Bewegung beim Partner erzeugen oder zu seiner Abbremsung führen.
Bei Ausführung der Techniken ist Nage immer bestrebt, das körperliche Gleichgewicht des Angreifers zu stören, um den optimalen Einsatz seiner Energie zu ermöglichen. Die Herbeiführung der gewünschten Wirkung setzt natürlich voraus, dass er sich selbst im stabilen körperlichen (und geistig-seelischen) Gleichgewicht befindet oder dieses - falls er es unter äußeren Einwirkungen verloren hatte - schnell wieder gewinnt.
Im täglichen Leben und in realen Selbstverteidigungssituationen kann es ebenfalls zum Verlust des Gleichgewichts kommen. Ein unkontrollierter Fall führt aber zu gesundheitlichen Schäden oder zur vorübergehenden Aktionsunfähigkeit. Beide wären gleichermaßen verhängnisvoll und sollten daher vermieden werden.
Allein aus den exemplarisch aufgezeigten Gründen sollten alle Aikidoka die Kunst des Fallens möglichst perfekt beherrschen!
Das Gebiet der Fallschule hat folglich im Aikido einen sehr hohen qualitativen Stellenwert. Dieser Tatsache werden auch die Prüfungsordnungen für Aikido-Kyu-Grade der meisten Aikido-Verbände gerecht. So steht das Ukemi bei den Prüfungen zum 5. bis 2. Kyu in der Benotung gleichwertig neben den anderen Fächern (Überprüfung, Nage-Waza, Katame-Waza, Randori), obwohl es sich unter quantitativen Aspekten erheblich von diesen unterscheidet. Hieraus kann man folgern, dass bei der Prüfungsvorbereitung auf den 5. bis 3. Kyu ca. 25% und auf den 2. Kyu ca. 15% der effektiv verfügbaren Trainingszeit zum Erlernen der Fallschule aufgewendet werden müssen. Auch bei den Prüfungen sollten hohe Anforderungen an die Qualität der verschiedenen Falltechniken gestellt werden, um die manchmal erkennbaren und für den Ausübenden mit Risiken verbundenen Mängel zu beheben bzw. zu verhindern.
Die gute Beherrschung des Ukemi ist aber nicht nur für die Sicherheit der Ausübenden von großer Bedeutung, sondern fördert auch ihre Entwicklung auf dem Wege (Do). Nur wer auch nach kraftvoll ausgeführten Techniken frei und unterbewusst richtig zu fallen vermag, kann sich körperlich gelöst und innerlich frei dem Studium des Aikido hingeben. Dabei lösen sich alle inneren Spannungen und äußeren Verkrampfungen, denen wir im täglichen Leben durch die immer geforderte „Standfestigkeit und aufrechte Haltung" ausgesetzt sind.

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Arten des Ukemi

 

Wird ein Körper durch Aikido-Techniken beschleunigt und geworfen, so kann die ihm innewohnende Bewegungsenergie entweder auf längerem Wege weich oder muss auf kurzem Weg hart abgebremst werden.
Gründend auf die damit im Zusammenhang stehenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten haben sich zwei verschiedene Formen des Ukemi entwickelt.
Bei der Rolle vorwärts (Mae-Ukemi) oder rückwärts (Ushiro-Ukemi) finden wir aikido-spezifische Formen des weichen Fallens. Sie sollten nach Möglichkeit immer angewendet werden, weil Verletzungen auch dann weitestgehend auszuschließen sind, wenn - bei einer realen Verteidigungssituation - keine Matten vorhanden sind.
Werden jedoch explosive Bewegungen ausgeführt oder wirkt die Energie des Verteidigers verstärkt durch Hebel oder Druck auf Nervenpunkte des Angreifers, lässt sich der freie Fall meist nicht vermeiden. Dies gilt auch für alle Würfe, bei denen der Angreifer während der Flugphase vom Verteidiger kontrolliert bzw. geführt wird. In diesen Fällen kommt es darauf an, die Bewegungsenergie des Körpers beim Aufprall großflächig auf die Matte (den Boden) zu verteilen, damit der Druck pro Flächeneinheit gering und somit für den Fallenden ungefährlich bleibt.
Diese Art des Fallens erfordert sehr viel Übung, denn die Koordination des gesamten Körpers - Übergang von der Entspannung zur optimalen Spannung, federndes Abschlagen und sofortige Entspannung - muss im Bruchteil einer Sekunde und im richtigen Augenblick erfolgen.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich der junge Ausübende sehr intensiv und ausdauernd mit den verschiedenen Formen des Ukemi befassen sollte, da die sichere Beherrschung der Fallschule eine unabdingbare Voraussetzung für das Training der Stand- und Bodentechniken und bestimmt auch für die Freude am Aikido ist.
Das Trainingsprogramm eines 6. Kyu ist natürlich noch nicht sehr abwechslungsreich. Oft ist das persönliche Interesse am Studium des Aikido auch erst oberflächlich geweckt. Der Schüler befindet sich also am Beginn eines langen Weges, dessen Bedeutung und Wert er noch nicht beurteilen kann. Aus diesen Gründen muss der verantwortungsbewusste Übungsleiter bemüht sein, den zu vermittelnden - noch begrenzten - Übungsstoff interessant aufzubereiten und behutsam zu lehren. Überforderungen sind zu vermeiden, weil sie zu Verletzungen führen können, die den Schüler demotivieren und vom weiteren Training abhalten.
Die nachfolgenden Übungen und methodischen Reihen sollen dem Übungsleiter nützliche Anregungen geben.

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Gymnastische Übungen zur Vorbereitung auf das Ukemi

 

Die meisten Menschen kommen zum Aikido, weil „sie etwas für sich tun möchten". Dies bedeutet, dass sie in der Regel körperlich ungeübt sind und zunächst vorbereitet werden müssen.
Der Übungsleiter sollte wissen, dass die gymnastischen Übungen nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Erreichung des aufgezeigten Zieles sind. Sie sollen den Körper des Aikidoka (Ausübenden) aufwärmen, lockern und stärken, ihn also auf das eigentliche technische Training vorbereiten.
Im Hinblick auf die Tatsache, dass ein Anfänger beim Üben der Aikido-Techniken noch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hat - verbissener Eifer fördert diesen Umstand - ist ein konditions- und konstitutionsförderndes technisches Training meist ausgeschlossen. Der Übungsleiter sollte daher gerade in den ersten sechs Monaten großen Wert auf die Durchführung einer intensiven und abwechslungsreichen Gymnastik legen.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die unzähligen Einzel- und Partnerübungen (mit und ohne Gerät) zu beschreiben, die der Zweckerfüllung dienen können. Der Findigkeit und dem Einfallsreichtum des Übungsleiters sind keine Grenzen gesetzt und viele Gymnastiklehrbücher geben gute Anregungen.
Das Ziel darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Insbesondere kommt es darauf an, die Beweglichkeit der Wirbelsäule sowie der Arm- und Beingelenke zu erhöhen. Ferner muss die Muskulatur im Bereich des Nackens und Rückens, sowie der Beine und Arme gestärkt werden. Aufwärm-, Dehnungs-, Kräftigungs- und Lockerungsübungen müssen sich abwechseln, um einseitige Überforderungen und Verletzungen auszuschließen.

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Spiele und Übungen zur Gewöhnung an die Matte

 

Der Mensch ist es gewohnt, in guter Balance mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu stehen. Ist er ungeübt, führt jede freiwillige oder ungewollte Aufgabe des Gleichgewichts zum Zustand der körperlichen und geistigen Verkrampfung, die von Angstgefühlen begleitet ist.
Ein wesentliches Ziel des Aikido besteht darin, dass der Aikidoka die Techniken seines Grades auch als Uke einwandfrei beherrscht, d.h. frei und gelöst fallen kann. Nur unter dieser Voraussetzung ist er auch ein guter Partner!
Gerade bei älteren Anfängern kann das Ziel jedoch nicht allein durch Fleiß und guten Willen erreicht werden. Zu fest sind die „normalen" und lebenslang geübten Bewegungs- und Verhaltensformen verwurzelt, als dass man sie so auf die Schnelle ändern bzw. verbessern könnte. Hier kommt den spielerischen Übungsformen besondere Bedeutung zu. Der Aikidoka geht unbewusst im Spiel auf, vergisst die - oft eingebildeten - Gefahren und reagiert in seinem Eifer auch gelöst auf gezielt herbeigeführte Störungen des Gleichgewichtes. Spannungen und Verkrampfungen werden abgebaut, er „fällt" in natürlicher, zweckmäßiger Weise, und das Unterbewusstsein wird entsprechend „umgeschult".
Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Spiele - insbesondere mit Partnern oder in der Gruppe - nicht durch kämpferische Elemente oder Leistungsvergleiche verfälscht werden. Dem systematischen Aufbau (vom Leichten zum Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten) kommt besondere Bedeutung zu. Überforderungen sind zu vermeiden!
Die nachfolgend beschriebenen Übungen stellen lediglich Beispiele dar. Sie sollen den Übungsleiter anregen, nach zweckmäßigen und abwechslungsreichen Spielen zu suchen.

5.1

Liegestütz-Schulterschieben
Die Aikidoka stellen sich paarweise gegenüber auf und begeben sich in den Liegestütz. Sie nehmen in dieser Stellung mit der rechten bzw. linken Schulter Kontakt. Auf das Zeichen des Übungsleiters wird versucht, den Partner von der Matte bzw. über eine Linie zu schieben. Störung des Gleichgewichts durch Gebrauch einer Hand ist erlaubt.

5.2

Schlangenspiel
Es werden Gruppen zu 5 bis 10 Aikidoka gebildet, die sich in Reihe eng hintereinander auf die Matte setzen und dem Vordermann am Rücken in den Gürtel fassen. Auf das Zeichen des Übungsleiters bewegen sich die „Schlangen" durch Verlagerung des Gleichgewichts und Gebrauch der Füße in sitzender Position auf das Ziel zu bzw. durch einen aus Hallenschuhen gebildeten Slalom-Parcours. Die Gruppe darf sich dabei nicht trennen.

5.3

Sternspiel
Die Aikidoka werden auf vier bzw. fünf Gruppen verteilt. Die Gruppen setzen sich in Sternform (Gesicht zum Zentrum,) hintereinander auf die Matte. Jede Reihe wird vom Zentrum mit eins beginnend durchnumeriert. Ruft der Übungsleiter z.B. die Nummer 1 auf, erheben sich sofort alle betreffenden Aikidoka, laufen im Uhrzeigersinn außen um den Stern und setzen sich schnell wieder an ihren Platz.

5.4

Känguruspiel
Alle Aikidoka gehen in die Hocke und hüpfen zur Mattenmitte. Dabei versuchen sie, die in ihrer Nähe befindlichen Partner durch Schubsen an den Schultern oder geschicktes Ausweichen bei einem Angriff aus dem Gleichgewicht zu bringen, so dass diese auf die Matte fallen. Dieses Spiel kann in verschiedenen Varianten (Gruppen- und Einzelspiel, Jeder gegen Jeden) ausgeführt werden.

5.5

Reiterspiel
Je zwei Aikidoka bilden „Reiter" und „Pferd". Die „Reiter" besetzen ihre „Pferde" mit angewinkelten Beinen (nicht umklammern!) und vor der Brust verschränkten Armen. Die „Pferde" bewegen sich im Kriechgang aufeinander zu und versuchen, die Balance der nächsten Paare zu stören (Abdrängen, Wegziehen eines Armes oder Beines), bis der Reiter auf die Matte fällt.

5.6

Ampelspiel
Je nach verfügbarer Mattenfläche sind Gruppen von ca. 8 bis 15 Aikidoka zu bilden. Als Laufstrecke dient die Mattenfläche in Längsrichtung. Der Übungsleiter steht an einer Stirnseite und hält je eine rote und grüne runde Karte (Ampel) verdeckt auf dem Rücken. Bei gezogener grüner Karte dürfen die Aikidoka laufen, während sie sich bei roter Karte in der vorher bestimmten Weise (Bauch-, Rücken- oder Seitenlage) auf die Matte legen müssen. Wird eine Rolle gefordert (Mae- oder Ushiro-Ukemi) kann das Spiel aus dem Vorwärts- oder Rückwärtslauf durchgeführt werden.

5.7

Hinkespiel
Alle Aikidoka verteilen sich auf der Matte, nehmen ein angewinkeltes Bein in die Hand und hinken auf die Mattenmitte zu. Die freie Hand fasst in den Gürtel und darf nicht benutzt werden. Durch Schubsen mit den Schultern oder geschicktes Ausweichen wird versucht, möglichst viele Partner aus dem Gleichgewicht bzw. zu Fall zu bringen. Wer das zweite Bein auf den Boden bringt, die Matte verlässt oder umfällt, scheidet aus.

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6

Vorübungen zum Erlernen des Ukemi

 

Die Vorübungen sollten in Form einer methodischen Reihe aufgebaut sein und bereits die wesentlichen Schwerpunkte der zu vermittelnden Technik(en) des Fallens enthalten.
In dieser Phase der Unterrichtung hat die Bildung von Gruppen gleichen Leistungsstandes große Vorteile. Oft kann man feststellen, dass die in einer fortgeschrittenen Gruppe trainierenden Anfänger auch Fallübungen mitmachen, die noch nicht zum Ausbildungs- und Prüfungsprogramm ihres Grades gehören. Eine Überforderung mit ihren negativen Folgen tritt mit Wahrscheinlichkeit ein.
Soweit keine Betreuung durch Übungsleiter-Assistenten erfolgt, können Gruppen gleicher Grade gebildet werden, die nach Erklärung der Übungen und Kontrolle ihrer Ausführung zeitweilig ohne Anleitung des Übungsleiters selbst trainieren. Dies sollte jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben!
Grundsätzlich sollte der Körperschwerpunkt bei den Vorübungen noch in Nähe der Matte gehalten werden. Die Übungen sind daher aus liegender bzw. sitzender Position oder aus der tiefen Hocke zu beginnen. Mit zunehmender Sicherheit können die Anforderungen bzw. Fallhöhen dann gesteigert werden.

6.1

Ushiro-Ukemi

  • Aus dem Stand in die tiefe Hocke gehen, bis das Gesäß die Matte berührt;

  • im Sitzen die angewinkelten Knie mit beiden Armen umschließen und Schaukelbewegungen nach rückwärts;

  • wie vor, jedoch ohne Gebrauch der Hände wieder in die Hocke (auf die Füße) kommen;

  • im Sitzen nach rückwärts rollen und Beine spreizen; anschließend nach vorn schwingen, dabei wechselseitig ein Bein einschlagen und in den Kniestand übergehen;

  • Weiterführung der Rolle abwechselnd über die rechte und linke Schulter nach rückwärts, bis die Knie die Matte berühren;

  • schulmäßige Rolle rückwärts aus der tiefen Hocke und aus dem Kniestand.

6.2

Mae-Ukemi

  • Rollen um die Körperlängsachse mit gestreckten Armen und Beinen;

  • Purzelbaum vorwärts aus dem Kniestand;

  • Fortlaufendes Abrollen aus der tiefen Kniestellung über die gleiche Schwerthand (Schulter), dann Seitenwechsel;

  • Abrollen aus der hohen Kniestellung, dabei Abstützen der Schwerthand durch die freie Hand;

  • Umfassen eines Balles, dann auf einen in der Banklage befindlichen Partner setzen und durch kontrollierte Bewegung in die Rolle abwerfen lassen;

  • Abbeugen des Oberkörpers aus der Schrittstellung (Hidari- und Migi-Kamae) und Aufstützen der vorderen Schwerthand ohne Aufgabe des Gleichgewichtes.

6.3

Yoko-Ukemi

  • Aus der Seitenlage mit gestrecktem Arm auf die Matten schlagen;

  • wie vor, jedoch Bein und Arm koordiniert abschlagen;

  • wie vor, jedoch zusätzlich die Hüfte federnd nach oben bringen;

  • in der tiefen Hocke den linken (rechten) Arm nach vorn strecken und das rechte (linke) Bein gestreckt zur Handfläche führen, dabei seitlich auf die Matte fallen und abschlagen;

  • wie vor, jedoch aus der hohen Hocke;

  • aus dem Stand mit Partnerhilfe den Fall seitwärts ausführen.

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7

Grob- und Feinform der Falltechniken

 

Die Grobform muss sich zwingend aus den Vorübungen ergeben. Man versteht darunter eine schulmäßig richtige Ausführung der vorgeschriebenen Falltechniken, bei der zunächst solche Einzelheiten vernachlässigt werden können, die den Zweck nicht oder nur unbedeutend einschränken.
Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Forderung nach Beidseitigkeit von Anfang an erfüllt wird. Die mit einer einseitigen Übung - meist wird die besser trainierte Seite gewählt - verbundene schnellere Automatisierung bestimmter Bewegungen und Körperhaltungen - etwa das Abrollen über eine Schulter und die damit verbundene falsche Haltung des Kopfes - lassen sich später nicht mehr oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten abstellen.
Dies ist ein Grund dafür, dass manchmal auch fortgeschrittene Aikidoka bei linker und rechter Ausführung von Wurftechniken ständig über die gleiche Seite abrollen. Ein Mangel, der bei rasant ausgeführten Techniken zur unvertretbaren Verdrehung der Wirbelsäule führt und schwere Verletzungen nach sich ziehen kann.
Die Sicherheit im Fallen kann nur durch ausdauernde Übung erreicht werden! Der Lehrer sollte daher bemüht sein, die Gruppe so aufzustellen, dass auf optisches oder akustisches Zeichen möglichst viele Aikidoka gleichzeitig und ohne gegenseitige Behinderung rollen bzw. fallen können. Die notwendigen Korrekturen können in dieser Phase vor der gesamten Gruppe erfolgen, da die „Standardfehler" meist von vielen Übenden gemacht werden.
Mit zunehmender Fertigkeit ist es jedoch zwingend geboten, auch den einzelnen Aikidoka zu überprüfen und - falls erforderlich -zielgerichtet zu korrigieren.
Bei Vermittlung und Überprüfung von Feinheiten bietet sich eine Ausführung in der Reihe an. Der Übungsleiter muss sich so postieren, dass er jeden Schüler kontrollieren und korrigieren kann. Diese Form des Trainings ist jedoch sehr zeitaufwendig und lässt sich nur in kleineren Gruppen praktizieren.
Soweit möglich, können die ranghöheren Aikidoka auch zeitweise als Übungsleiter-Assistenten fungieren. Dabei müssen sie sich die - oft schon - verinnerlichte Falltechnik wieder bewusst machen, durchdenken und vermitteln, was auch für den eigenen Fortschritt sehr förderlich ist.
In diesem Übungsabschnitt sollten den Aikidoka nur die Falltechniken in schulmäßiger Form vermittelt werden, die dem angestrebten Grad in der Prüfungsordnung zugeordnet sind. Soweit die Falltechniken bereits abgelegter Grade wieder gefordert werden, muss ihre Demonstration in entsprechend verbesserter Qualität (pro Grad ca. ein Punkt) erfolgen.
Bei der Prüfung sind die Falltechniken grundsätzlich aus aufrechter Stellung und ggf. aus der Bewegung vorzuführen. Alle Rollen (Ushiro- und Mae-Ukemi) sollen in sicherer und korrekter Grundstellung (Kamae) enden.

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8

Übungen zur Verbesserung der Fallschule

 

Die Anwendung einer schulmäßig ausgeführten Falltechnik sollte zwar immer angestrebt werden, ist jedoch nicht in jeder Situation möglich. Manchmal wird ein Aikidoka „auf dem falschen Bein erwischt" oder ist durch die Führung des Partners in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Die Übungen zur Verbesserung der Fallschule müssen daher den Zweck verfolgen, die Sicherheit bei Ausführung - auch unter ungewöhnlichen, ja extremen Bedingungen - zu erhöhen.
Zur Verbesserung der Falltechnik dienen insbesondere folgende Übungsformen:

  • Fallen nach Zeichen (optisch, akustisch, ohne Verzug;

  • Ausführung gleicher oder verschiedener Falltechniken in Serie ohne Wiederherstellung der Balance;

  • Beschleunigung des Fallenden durch Stoß oder Wurf;

  • Fallen bei eingeschränkter Bewegungsfreiheit (z.B. Führung durch den Partner, Hände in den Gürtel);

  • Fallen in umgekehrter Stellung (Gebrauch der rechten Schwerthand bei Stellung links-vorwärts und umgekehrt);

  • Fallen mit eingeschränkter Sichtkontrolle;

  • Fallen nach extremen Richtungswechseln und

  • Rollen über Hindernisse bzw. Fallen aus größeren Höhen.

Jede Überforderung der Ausführenden sollte strikt vermieden werden, da wegen des hohen Schwierigkeitsgrades bei Unsicherheit oder zögernder Ausführung sonst Verletzungen auftreten können, die das Selbstvertrauen des Aikidoka empfindlich stören und den bisherigen Ausbildungserfolg zunichte machen.
Auch müssen Wollen und technisches Vermögen in Einklang stehen. Man kann gerade von jungen Aikidoka nicht erwarten, dass sie ihr eigenes Können und den Schwierigkeitsgrad der Falltechnik richtig beurteilen. Ggf. muss der Übungsleiter behutsam aber entschlossen eingreifen, damit er seiner Garantenstellung - auch unter versicherungsrechtlichen Aspekten - gerecht wird!

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9

Aus der Rolle zum freien Fall

 

Die Kunst des freien Falles wird aus den bereits erwähnten Schwierigkeiten nur von wenigen Aikidoka perfekt beherrscht und kann daher als „Hohe Schule" des Ukemi bezeichnet werden.
In diese Gruppe sind alle Techniken einzuordnen, bei denen der Ausführende während einer gewissen Bewegungs- (Wurf-) Phase keinen Kontakt zur Matte (zum Boden) mehr hat. Der freifallende und oft durch die umgelenkte Eigenenergie oder die positive Aktion des Partners stark beschleunigte Körper trifft mit großer Wucht auf die Matte.
Die Abbremsung kann entweder durch eine anschließende (Flug-)Rolle mit starkem Einsatz der Schwerthand oder durch den Fall seitwärts mit richtig getimtem federnden Abschlagen erfolgen.
Alle Formen des freien Falles bedingen einen durchtrainierten Körper und ein geschultes Unterbewusstsein, weswegen sie erst bei der Prüfung zum 2. Kyu gefordert werden, was einer Ausbildung von ca. zwei Jahren entspricht.
Während sich das Erlernen der Flugrollen nach vorn und rückwärts logisch aus den vorherigen Übungsformen ergibt, bereitet der freie Fall zur Seite grundsätzlich Schwierigkeiten. Dies liegt daran, dass der fortgeschrittene Aikidoka es gewohnt ist, sich während eines Wurfes instinktiv zusammenzurollen. Nun soll er den Körper strecken, um großflächig auf die Matte zu fallen.
Es muss nicht so sein, dass blaue Flecken im Bereich der Hüfte von den Anstrengungen zeugen. Auch für diese schwierige Art des Fallens empfiehlt sich die Anwendung methodischer Reihen, die vom Einfachen (Bekannten) ausgehen und zum Schweren (Unbekannten) führen.
Insbesondere sollten zunächst keine harten oder zu hohen Hindernisse aufgebaut werden, vor denen der Schüler im Augenblick der Einleitung einer Falltechnik erschrickt (Unfallgefahr!).
Für die systematische Weiterführung des Aikidoka eignen sich folgende Übungen:

  • Rollen vorwärts und rückwärts nach Bocksprung;

  • Rollen über ungefährliche Hindernisse (Hallenschuhe, Handtuch, Gürtel, Partner) dabei Vergrößerung des Abstandes bzw. der Höhe;

  • Fallen seitwärts aus dem flüchtigen Handstand-Überschlag;

  • Fallen seitwärts über den Partner (Bock) mit gebeugten bzw. gestreckten Armen;

  • Fallen seitwärts mit Partnerhilfe (Fassen am Ärmel bzw. Ausführung geeigneter Wurftechniken, z.B. Aiki-Otoshi oder Koshi-Nage).

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10

Formen des freien Fallens

 

Bei vielen Prüfungsanwärtern besteht Unklarheit darüber, welche Formen des „Freien Fallens (Rollens) nach allen Seiten" bei Prüfungen zum 2. Kyu gefordert bzw. erwartet werden. So kann man als Prüfer die waghalsigsten Übungen der Marke „Eigenbau" erleben.
Alle Fallübungen könnte man als Sicherheitstechniken bezeichnen, denn sie haben den Zweck, einen Wurf ohne eigenen Schaden zu überstehen. Bedeutsam erscheint dabei die Feststellung, dass die Fallübungen zweckorientiert sind.
Daraus folgert, dass Art und Umfang der vermittelten bzw. erlernten Techniken des Fallens realistisch und sinnvoll sein müssen.
Zur Behebung der Zweifel werden nachfolgend jene Standardtechniken dargestellt, die ein Anwärter zum 2. Kyu beherrschen sollte. Gerade hier gilt jedoch: „Qualität statt Quantität", denn das Fach „Fallschule" ist abgeschlossen und wird künftig nicht mehr formell geprüft.
Dies bedeutet aber nicht, dass es auch vergessen werden darf, denn die perfekte Falltechnik wird auch von den Meistern aller Grade erwartet. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund dafür, dass man auch Meister hoher Grade mit Hingabe die Fallschule üben sehen kann. Fortschritt erfordert die ständige Rückkehr zu den Quellen!
Ein Aikidoka sollte bei seiner Prüfung zum 2. Kyu alle Falltechniken der vorhergehenden Grade in Perfektion vorführen und folgende Formen des freien Fallens beidseitig demonstrieren können:

  • Flugrolle vorwärts (Flugphase ohne Mattenkontakt) in den sicheren Stand;

  • Rolle vorwärts aus der Bewegung ohne Gebrauch der Schwerthände in den sicheren Stand;

  • Rolle rückwärts aus der Bewegung (ohne Mattenkontakt mit den Knien) in den sicheren Stand;

  • Rolle nach rückwärts über die Schwerthand ohne Sichtkontrolle in den sicheren Stand;

  • Fall seitwärts aus dem Stand (ohne Mattenkontakt mit den Füßen) und

  • Fall seitwärts aus dem Überschlag vorwärts (ohne Mattenkontakt mit den Schwerthänden).

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11

Der kontrollierte Wurf mit freien Fall

 

Es gibt Techniken im Aikido, die vom Angreifer ein hohes Maß an Fertigkeit im Fallen verlangen. Im Übungsprogramm des fortgeschrittenen Aikidoka dürfen diese Techniken daher nicht fehlen. Sie werden nicht nur zur Verbesserung ihrer Wirksamkeit, sondern auch zur Perfektionierung der Falltechniken ausgeführt.
Da die Stärke einer Abwehr im Aikido in erster Linie durch die Rasanz des Angriffes bestimmt wird, stellen alle Techniken der Abwehr von Schlägen und Stößen mit dem Stab (der Lanze), Messer oder Schwert besondere Anforderungen an den Fallenden (Uke).
Nachfolgend werden Würfe aus dem Programm für Kyu-Grade genannt, die für den aufgezeigten Übungszweck geeignet sind:

  • Aiki-Otoshi (Irimi und Tenkan)

  • Kaiten-Nage Uchi (Tenkan)

  • Kaiten-Nage Soto (Tenkan)

  • Koshi-Nage (Irimi und Tenkan)

  • Kote-Gaeshi (Irimi und Tenkan)

  • Juji-Garami (Irimi und Tenkan)

  • Kokyu-Nage (Irimi und Tenkan)

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Die Kunst des Fallens im Randori

 

Die Kunst des Fallens findet sich im Randori vollendet! Uke muss frei und variabel angreifen. Er darf nicht am Augenblick hängen, muss den Zeitpunkt der Aufgabe seiner Balance intuitiv erfassen und die geeignete Falltechnik verzögerungsfrei ausführen.
Diese Feststellungen gelten im besonderen Maße für das Randori mit mehreren Angreifern. Wer äußerlich einen Angriff ausführt und dabei innerlich an die eigene Sicherheit denkt, lässt seine Energie nicht in Richtung auf den Partner fließen.
Wenn kein Angriff erfolgt, ist auch keine Abwehr notwendig!
Wird zwischen Nage und Uke kein Spannungsfeld (Angriff und Verteidigung) aufgebaut, können beide Partner kein Aikido erlernen!
Insofern ist die sichere Beherrschung der Falltechnik auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Aikidoka die Rolle des Gebenden zum Wohle des Partners und ohne Gefährdung seiner eigenen Gesundheit übernehmen kann.
Die Aufgabe der Balance (Kuzushi) und die sich anschließende Falltechnik - sie führt zur ursprünglichen starken Position zurück - hat auch eine große symbolische Bedeutung.
Letztlich stelle ich fest, dass jeder Mensch auch in seinem Leben manchmal fällt. Dies ist jedoch keine Niederlage, wenn er sich wieder erhebt!

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© Helga Brand, 5. Dan Aikido
Alle Rechte, auch das der Übersetzung, ausdrücklich vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Verfasserin gestattet.

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